29.01.2020

Von Halbe/Halbe zum Paritätsgesetz

„Die Zeit der Selbstverpflichtungen und Ankündigungen ist vorbei. Wir wollen die Hälfte der Sitze! Wir wollen die Hälfte der Macht!“ Vor nunmehr fünf Jahren hat der LFRN diese Provokation mit der Online-Petition „Halbe/Halbe in Rat und Kreistag: Ändern Sie das Wahlgesetz!“ auf der öffentlichen Agenda forciert. Nicht nur damit war er eine der ersten Frauenorganisationen, die offensiv ein Paritätsgesetz gefordert haben. Bereits 2012 hatte eine übergroße Mehrheit der Mitgliedsverbände für die erste streitbare Resolution „Paritätische Vertretung mit Frauen und Männern in den Kommunalparlamenten, im Landtag und im Bundestag“ votiert. Schon damals ging es um eine Reform der Wahlgesetze in Niedersachsen. Das Ziel: Wahllisten abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen und in den Wahlkreisen Frauen und Männer zu jeweils 50 Prozent aufzustellen.

Der Frauenanteil an den Schaltstellen der Macht gilt als Gradmesser für die Gleichstellung der Geschlechter, und zwar auf allen Ebenen des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Doch die Zahl der Mandatsträgerinnen in der Politik dümpelt vor sich hin. Nach Jahren der Stagnation sinkt gar der Frauenanteil bei den Abgeordneten in Bund und Land. Vor allem in der Kommunalpolitik sind Ratsfrauen stark unterrepräsentiert: Bei der niedersächsischen Kommunalwahl 2016 haben Frauen in den Kreistagen und kreisfreien Städten im Schnitt 26,5 Prozent der Sitze errungen, in den Stadt- und Gemeinderäten 23,5 Prozent. Das ist viel zu wenig, um dem Gleichheitsgrundsatz der Geschlechter in Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes auch nur nahe zu kommen.

Appelle der Konferenz der Landesfrauenräte, Aktionen in den Bundesländern und schließlich auch des Deutschen Frauenrates haben anlässlich „100 Jahre Frauenwahlrecht“ Vorschläge für Wahlrechtsreformen in die Parlamente getragen. Im Zentrum der Forderungen steht das passive Wahlrecht von Frauen. Ziel ist, die tatsächliche Chancengleichheit von Kandidatinnen her zu stellen. Aktuell haben Frauen in Parteien, die entweder keine oder nur wenig verpflichtende Regelungen zur Frauenförderung haben, die geringsten Chancen auf ein Wahlmandat. „Die Parteien haben in unserer Demokratie eine Verantwortung, nicht nur um Wählerinnen zu werben, sondern auch um Kandidatinnen. Gesetzliche Maßnahmen, die dafür sorgen, sind möglich und angesichts der Situation auch nötig“, betont Prof. Dr. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes (djb).

 

Und dann kam der 31.01.2019

An diesem Tag beschloss der Brandenburger Landtag über Fraktionsgrenzen hinweg die verpflichtende paritätische Besetzung von Landeslisten zu den Landtagswahlen ab 2024. „Es geht nicht um ein Frauenthema, sondern um das Ganze. Ich spreche nicht von einer Quote, sondern von Demokratie. Frauen haben Anspruch auf die Hälfte der Macht – ohne sie ist kein Staat zu machen“, erklärte die damalige Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD). Dem folgend beschloss die rot-rot-grüne Koalition im Thüringer Landtag am 5. Juli 2019 ein vergleichbares Paritätsgesetz, das allerdings unmissverständlich Sanktionen vorsieht: Die Wahlliste wird ab dem Platz zurückgewiesen, ab dem die paritätische Besetzung durchbrochen wird. Gegen beide Gesetze gibt es auch Bedenken, beim Landesverfassungsgericht Brandenburg ist Beschwerde eingereicht.

 

Und Niedersachsen?

Seit der Online-Petition des LFRN hat sich eine breite Front der Unterstützerinnen und Unterstützer für ein Paritätsgesetz formiert. Potentiellen Kandidatinnen steht das landesweite Mentoring-Programm „Politik braucht Frauen!“ offen. Das große Interesse daran zeigt, dass Frauen aktiv politische Entscheidungsprozesse beeinflussen wollen. Der Großen Koalition im Landtag dämmert längst, dass es kein Erkenntnisproblem, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem gibt. „Ohne eine klare gesetzliche Regel wird man nichts daran ändern können, dass die größte Bevölkerungsgruppe, die Frauen, in den Parlamenten nur als Minderheit repräsentiert ist“, so Ministerpräsident Stephan Weil am 14. Januar 2020 bei einer SPD-Konferenz zum Thema. Geht es nach seiner Partei, sind alle Landeslisten – wie in den bestehenden Paritätsgesetzen – nach dem „Reißverschlussverfahren“ aufzustellen. Sie will dabei nicht stehen bleiben und auch eine Regelung für die Direktmandate in den Wahlkreisen treffen. Bei der Konferenz deutete sich eine Lösung über den so genannten Wahlkreisverbund an: Jeweils zwei der bestehenden 87 Landtagswahlkreise würden für die Nominierung der Kandidaturen zusammenlegt. Dabei müsste jede Partei im Verbund der beiden Wahlkreise mindestens eine Frau nominieren. Damit wäre die Zahl der Direktkandidatinnen erhöht, aber nicht die Zahl der Wahlkreise. Ein befürchtetes Aufblähen des Landtages wegen der Einführung der Parität wäre abgewendet und den Gegnern des Gesetzes Wind aus den Segeln genommen.

Im April will sich die SPD auf ein Modell für das Paritätsgesetz einigen. Was auch immer dieses vorsieht, eines ist schon heute klar: Das Paritätsgesetz Niedersachsen wird zum Wahlkampfschlager, denn die mitregierende CDU zieht weder im Bund noch in den Ländern mit.

 

Zum Jubiläum erzählen wir in dieser Rubrik LFRN 5.0 Geschichte und Geschichten, streiten für Feminismus und dokumentieren Aktionen und Kampagnen rund um das Frauenengagement in Niedersachsen. Begleiten Sie uns dabei! 

 

Links zum Thema:

Für den Überblick:

https://www.frauen-macht-politik.de/paritaet-in-der-politik.html

https://www.frauen-macht-politik.de/infothek/zahlen-und-fakten.html

https://www.100-jahre-frauenwahlrecht.de/dossiers-frauen-und-politik/paritaet/linksammlung.html

https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/K5/pm19-02/

 

Debatte und Beschluss im Landtag Brandenburg:

https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/plpr/72-011.pdf

https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/parladoku/w6/drs/ab_10400/10466.pdf

 

Debatte und Beschluss im Landtag Thüringen:

http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/71763/154_plenarsitzung.pdf#page=68

http://www.parldok.thueringen.de/ParlDok/dokument/72014/gesetz_und_verordnungsblatt_nr_9_2019.pdf#page=26

 

In den Bundesländern:

https://www.parlamentsspiegel.de/home/suchergebnisseparlamentsspiegel.html?sortierung=dat_desc&verknuepfung=and&schlagwort=gleichberechtigung&db=psakt&vir=alle&suchbegriff=parit*+and+wahl*&view=detail

Niedersachsen: https://www.rundblick-niedersachsen.de/neuer-vorschlag-fuer-paritaetsgesetz-in-je-zwei-wahlkreisen-muss-eine-frau-nominiert-werden/

Berlin: https://www.landesfrauenrat-berlin.de/2019/11/14/frauen-macht-berlin-wann-wenn-nicht-jetzt/

NRW: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_II/II.2/Gesetzgebung/Aktuell/01_Aktuelle_Gesetzgebungsverfahren/Paritaetsgesetz/index.jsp

 

Debatte im Bundestag:

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw03-de-frauen-bundestag-674718

https://www.frauenrat.de/paritaet-im-deutschen-bundestag/

 

Digitaler Gleichstellungsatlas (Bund):

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/online-rechner/gleichstellungsatlas

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